An den Wassern der Heidenaab – Ein Erinnerungsblatt (zum Neubau der Brücke bei Mantel)

Veröffentlicht am 29.06.2023 - Redakteur: Karlheinz Müller

Während des Sommers zog es uns unwiderstehlich ans Ufer der blinkenden Heidenaab. Unterhalb der Brücke floß das Wasser heran, beschleunigt vom Stauwehr und dem Rad der Mühle, dunkelgrün verschattet, dann wieder im wechselnden Farbenspiel der Wellenbewegung aufsprühend hinaus in die Helle von Licht und Tag.
Die Naab war hier durch steinerne Pfeiler dreifach geteilt nach Tiefe und Strömung und hatte zwei schmal auslaufende Inseln angelandet, Spielplätze mit ihren wohlig-warmen Sandflächen.
Der eine Flußarm, seicht, gerade knietief und ungefährlich, war den Kleinen vorbehalten, die noch sorgsam von ihren Müttern behütet wurden.
Nebenan, im Kuhdümpfl, zog der Grill Hans prustend und schnaufend seine Bahn, bewundert wegen seines exzellenten Schwimmstils.
Aber unser hohes Staunen galt den Springern, die sich wagemutig vom Brückengeländer aus in die Flut des Gauldümpfls stürzten. Sogar Hubert, unser Hausgenosse, hat dies getan. Er war ja einer von den Jüngeren und doch von Willensstärke und großem Ehrgeiz beseelt.
Weiter abwärts ging der Fluß in die Breite. Seinen beruhigten Lauf säumte jetzt ein flachbespültes Ufer, das nur spärlich von Grasbüscheln begrünt war. Es war Schwemmland, hellfarben und sonnenbeschienen, und darin gruben flinke Kinderhände ausgebuchtete Landzungen, umgaben sie mit einer leicht erhöhten Randung, und, während
drüberhin schwarzköpfige Vögel kreischten, scheuchte man silbrig blinkende Fischlein in die angelegten Fangbecken.
Damals geschah es, dass ein furchtbares Ereignis in unsere kindlich-idyllische Welt hereinbrach, als wie ein Lauffeuer durch den ganzen Ort die Nachricht eilte, ein Knabe aus unserer Klasse sei im Wasser der Heidenaab ertrunken. Willi, ein Freund des Verunglückten, war mit Karl eines Tages nach Unterrichtsende in den Mittagsstunden auf dem Heimweg. Aber sie nahmen nicht den Weg über den Marktplatz, sondern zweigten ab und gingen hinunter beim Anwesen Kreiner zum Flusslauf der Naab.
Es war Winter, es hatte geschneit, kalte Luft wehte über den Fluss den Hang herauf. Strahlend weiß blinkte das Eis im klaren Sonnenlicht, verlockend, verführerisch.
Unser Lehrer hatte oft auf die drohenden Gefahren des überfrorenen Flusses hingewiesen, aber die beiden Buben vergaßen alle noch so eindringlichen Warnungen und betraten die tückische Eisfläche, zunächst noch vorsichtig, dann jedoch immer mutiger.
Es war eine echte Mutprobe, dieses erregende Spiel. “Zäh“ nannten wir es, wenn man das Eis mit wiegenden schaukelnden Bewegungen zum leichten Schwingen brachte.
Karl jauchzte auf in großem Entzücken. Das Eis wogte merklich, hob und senkte sich immer stärker. Willi, der ängstliche von beiden, hatte sich mehr am Rand aufgehalten, mit vorsichtiger Tuchfühlung zum Ufer.
Da glitt Karl aus, schlitterte weiter zur Mitte des Flusses hin. Mit einem Mal ertönte ein schreckliches Krachen, das Eis war gebrochen, ein tiefer Riss zuckte augenblicklich über die gefrorene Fläche.
Karl schrie entsetzt auf. Aber es war schon zu spät. Gurgelnd zog der Sog des strömenden Wassers den Unglücklichen unter das Eis, trieb ihn ab, dem Wehr zu, das oberhalb der Mühle den Fluss staute. - Erst tags darauf fand man den Toten.
Ein paar Tage später standen wir am Grab, verwirrt und hilflos. Es schien alles so unwirklich, wie in weiter Ferne: Das dunkle Gewand des Priesters, der anrührende Chorgesang, die bittere Betrübnis der trauernden Leute rundum. Und wir fühlten ahnungsvoll den dunklen Schatten, der sich auf unser Gemüt gelegt hatte.
Arges war der Heidenaab auch selbst widerfahren. Damals hatte sie noch Muße, sich lang und ausholend zum Markt hin zu biegen, als Abstecher gewissermaßen für einen Besuch bei lieben Freunden, am flachen Ufer unter hängenden Sträuchern und Büschen in der warmen Sonne zu plätschern, für eine Weile sich der leichten Anhöhe zur evangelischen Kirche anzuschmiegen, spielerisch am Rad der alten Mühle zu drehen, leicht und sprühend übers Wehr hinunter zu hüpfen, unter der Brücke ihre Wasser gar dreifach zu verzweigen, zum dreifachen Gaudium der badenden Dorfjugend, ein paar sandige Inseln zu umspülen, und schließlich breit und gemächlich durch die Talauen weiterzuziehen.
Bis irgendein Mensch, sehr klug zwar, aber dem rastlosen Fortschritt zu sehr verfallen, in seiner Amtsstube vom Reißbrett aus dem Fluss einen neuen Lauf, eine neue Richtung verordnete. Gerade, schnurgerade sollte das Wasser laufen, wie in einem künstlichen Kanal, in ein Korsett eingesperrt, steril, ohne den Hauch von Beschaulichkeit und Ruhe.
Und so läuft sie jetzt, die Naab, geschrumpft, abgemagert zu einem Rinnsal beinahe, viel zu dünn für die ausgedehnte Ebene, draußen läuft sie, abseits der Ortschaft, ausgestoßen wie ein Fremdling, mit dem man nichts mehr zu tun haben möchte. Und der Markt? Hat er nicht viel verloren? Das Malerische, das ihm einmal ein unverwechselbares Gepräge gab, diesem von den Wassern der Heidenaab einstmals angerührten so liebenswerten Ort? Gewesen - man möchte dem allen nachtrauern.
Freilich hatte man auch eine Begründung dafür geliefert: etwaige Überschwemmungen sollten ein für allemal ausgeschlossen sein. So weit, so gut. Man beugte sich dem Argument, und bekanntlich hat alles seine zwei Seiten.
Weiter unten, abwärts dem nächsten Dorf zu, nahe dem ansteigenden Gelände, auf Höhe der Turnhalle hatte der Fluß, träge sich windend, sein eigenes Bett gegraben. Ein Altwasser, schilfumwachsen und sehr fischreich, mit unterhöhlten Uferböschungen, kaum bewegter Wasserfläche, aber mit unaufhörlich und wirr durch die Luft tanzenden Mückenschwärmen, eine wahre Plage für die blanken Arme und Bubenbeine, trotz des gelegentlichen Anhauchs aus Vaters qualmender Zigarette, der mit der Angel in der Hand am Ufer stand.
Noch lag der Schwimmer unbewegt und flach im Wasser. Aber es kamen kleine Wellen auf und liefen kreisförmig sich verbreitend unters Schilf. Der Angler gebot Ruhe mit mahnendem Blick, die Schauenden erstarrten beinahe zu Salzsäulen. Kein Schmerzenslaut wegen der quälenden Schnakenbisse, dass die heranziehenden Fische nur ja nicht ins tiefere, dem Ufer entfernte Wasser zurückgeschreckt würden.
Die Ausbeute eines solchen Anglernachmittags war nicht immer recht reichlich, oft zog man lediglich mit ein paar Weißfischlein von dannen, zur Belustigung daheim.
Aber das eigentliche Fischerfest stieg im Spätherbst, zur Zeit der Kirchweih, wenn der Schlosserfranz mit seinem Kuhgespann anrollte, begleitet von einer Vielzahl eifriger Helfer, vor allem auch Kinder, denen das Abfischen zum großen Spektakel wurde.
Dann schnellten in gewaltigen Sprüngen unzählige blinkende Fischleiber aus den Tiefen der aufschäumenden brodelnden Flut, verfolgt und mehr in die Enge getrieben von heran drängenden räuberischen Fischernetzen, die kein Entweichen mehr zuließen.
In zinkenen Wannen und hölzernen Bottichen wurde der überreiche Fischfang weggefahren. Der Schlosserfranz hatte mildtätig und mit verstehendem Blick auf ihr heißes Verlangen das eine oder andere glitschige Fischlein den Kindern in die zittrigen Hände gelegt. Und beglückt trugen sie die kostbare Gabe nach Hause.
Später, nach langen Jahren, ging mancher, zu mondheller Nacht und im Erinnern versunken, gelegentlich die kleine Moiergasse hinunter. Da lag jetzt die Haidenaab freilich weit draußen, unendlich weit schien es, aber es zog dieser Geruch heran, der den Ortschaften am Fluß so eigen ist, der Geruch von Wasser, Fisch und Schilf.

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